
Die sommerliche Hitze lässt subtile Aromen in gewöhnlich heiß aufgegossenen Teeblättern leicht verpuffen, während Kōridashi sie bewahrt und in einem kristallklaren Aufguss festhält. Die japanische Zubereitungsart, auch Ice Brew genannt, extrahiert Geschmacksnuancen in einer kühlen Langsamkeit, die selbst komplexe Teesorten in eine erfrischende Delikatesse verwandelt. Dabei gleicht der Prozess eher einem stillen Dialog zwischen Eis und Blatt als einem kräftigen Aufbrühen. Die folgende Betrachtung entfaltet Geschichte, Methode und geschmackliche Raffinessen dieser faszinierenden Teetradition.
Was ist Kōridashi?
Kōridashi stammt aus Japan und besitzt eine jahrhundertealte Tradition, die in Teehäusern ebenso gepflegt wird wie in privaten Gärten. Der Begriff setzt sich aus „kōri“ (氷, Eis) und „dashi“ (出し, Auszug) zusammen. Das Verfahren nutzt langsam schmelzendes Eis, um wasserlösliche Inhaltsstoffe aus dem Blattgewebe zu lösen. Dadurch entstehen erstaunlich süße, glatte und umami-geprägte Aufgüsse, in denen Bitterstoffe kaum eine Rolle spielen. Die niedrige Temperatur schützt hitzeempfindliche Aminosäuren, weshalb vor allem L-Theanin mit seiner berühmten sanften Süße unverkürzt in die Tasse gelangt.
Gewusst? Teilweise wird statt Kōridashi auch der Begriff Shinobicha verwendet. Dabei bedeutet Shinobi-cha soviel wie heimlich/geduldig ziehender Tee. Dies soll verdeutlichen, dass bei der Zubereitung auf Eis dieser sich heimlich entfaltet und man Geduld für den Genuss mitbringen muss.
Kōridashi gilt daher als Königsweg, um edle japanische Grüntees in ihrer ganzen Tiefe zu präsentieren. Gleichzeitig entsteht ein Erfrischungsgetränk, das ohne jede Zusatzstoffe auskommt und in seiner puristischen Eleganz frappiert. Sein Charakter wurzelt in der Idee, den natürlichen Rhythmus des Schmelzens als Extraktionswerkzeug einzusetzen und dadurch Hitze komplett auszuklammern. Die niedrige Temperatur erhält flüchtige Spitzen von Jasmin, Meeresbrise und junger Erbse, begleitet von einer fast seidigen Viskosität, die an geschmolzenes Jadegel erinnert und den Gaumen umschmeichelt, mit langer minziger Frische.
Welcher Tee nimmt man für Kōridashi?
Die Methode favorisiert Blattmaterial mit hohem Aminosäuregehalt und feiner Beschattungstradition. Klassische Kandidaten lauten Gyokuro, Kabusecha und hohe Sencha-Qualitäten. Auch Tencha, die Vorstufe des Matcha, entfaltet sich spektakulär. Die Schattierung intensiviert Chlorophyll sowie Glutaminsäure und verleiht dem Aufguss einen ausgeprägten Umami-Charakter. Hojicha oder Genmaicha eignen sich weniger, da die Röstnoten bei niedrigen Temperaturen kaum durchdringen. Gleichwohl vermögen chinesische Long Jing oder taiwanesische Hochland-Oolongs zusätzliche Spielarten zu offenbaren, sofern sie ein feines Süße-Säure-Verhältnis aufweisen.

Weißtee aus jungen Knospen, etwa Yin Zhen (Silbernadel-Tee), entwickelt eine honigartige Leichtigkeit, sodass sogenannter „Eisbesteck“ selbst Kenner überrascht. Entscheidend bleibt ein makelloses Blatt ohne Fremdgeruch, weil Kōridashi jede Nuance unverhüllt freilegt. Seltene First-Flush Darjeelings entfalten zudem eine traubige Süße, während koreanischer Jeju Sejak eine maritime Klarheit beisteuert; selbst leicht oxidierter Baozhong zeigt in Eisextraktion florale Facetten, die im heißen Aufguss leicht verdeckt wirken, und die Gesamtpalette aromatischer Eindrücke nochmals weit aufspannt.
Was ist der Unterschied zwischen Ice Brew und Cold Brew Tee?
Ice Brew und Cold Brew zählen beide zur Kaltaufguss-Familie, verfolgen jedoch unterschiedliche Herangehensweisen und erreichen dadurch abweichende Aromaprofile.
- Temperatur: Ice Brew startet bei 0 °C und steigt langsam an, Cold Brew setzt meist 5 – 8 °C kaltes Wasser ein
- Extraktionsdauer: Kōridashi verlangt dreißig Minuten bis zwei Stunden, Cold Brew verweilt acht bis zwölf Stunden im Kühlschrank
- Flüssig-zu-Fest-Verhältnis: Beim Ice Brew bedecken lose Teeblätter eine kompakte Schicht Eis, das Schmelzwasser durchtränkt, während Cold Brew Teeblätter direkt in kaltem Wasser schwimmen
- Geschmacksbild: Ice Brew generiert ausgeprägtes Umami, seidige Textur und dezente Süße; Cold Brew resultiert in milden, fruchtigen Noten mit feiner Säure
- Optik und Ritual: Kōridashi inszeniert das Schmelzen als meditative Zeremonie, Cold Brew eignet sich stärker für vorbereitete Erfrischungsgetränke in größeren Mengen

Kōridashi Zubereitung: Schritt für Schritt
Nachfolgend findet man eine Schritt für Schritt Anleitung für eine einfache Zubereitung von Kōridashi:
- Auswahl des Gefäßes: Ein Kyūsu aus Porzellan, Glas oder feinem Ton empfiehlt sich, solange er einen integrierten Sieb-Ansatz besitzt. Transparente Gefäße erlauben das Beobachten des Schmelzprozesses und damit eine visuelle Freude am Ritual. Alternativ erfüllt eine schlichte Glaskaraffe denselben Zweck, sofern das Abseihen ohne Tropfenverlust gelingt.
- Abwiegen der Teemenge: Die Methode verlangt eine etwas höhere Blattdosierung im Vergleich zum heißen Aufguss. Pro 100ml Endvolumen kommen drei bis fünf Gramm Premium-Gyokuro zum Einsatz. Edle Sencha-Sorten erfordern ungefähr vier Gramm, während weiße Tees mit zwei Gramm auskommen. Ein exaktes Teelot oder eine Feinwaage verhindert Über- beziehungsweise Unterextraktion. Darüber entscheidet der eigene Gaumen, wie viel Gramm Tee bzw. wie viel Eiswürfel pro Menge Tee es am Ende sein dürfen. Hier ist experimentieren gefragt!
- Bereitstellung des Eises: Gefrorenes Quell- oder gefiltertes Wasser verstärkt die Reinheit des Aufgusses, da Leitungswasser mit hohem Mineralanteil Geschmacksnoten überlagert. Falsl möglich, das Eis findet entweder als große Würfel oder in einer massiven Kugel Verwendung. Größere Formen schmelzen langsamer und ermöglichen einen gleichmäßigeren Kontakt. Zerstoßene Stücke verkürzen die Zeit, erzeugen jedoch einen schnelleren Temperaturanstieg. Am Ende können aber natürlich auch gewöhnliche Eiswürfel genutzt werden.
- Schichtung von Tee und Eis: Die trockenen Blätter werden locker in das Gefäß gestreut und anschließend vollständig mit Eis bedeckt,das schmelzende Wasser benetzt so jede Faser gleichmäßig. Das Verhältnis von Blattoberfläche zu Eisvolumen beeinflusst die Extraktionsgeschwindigkeit – je dichter gepackt, desto intensiver der finale Geschmack.
- Geduld und Beobachtung: Das Gefäß ruht ungestört bei Raumtemperatur oder im Kühlschrank. Während das Eis in gemächlichem Tempo verflüssigt, durchströmt das kalte Wasser die Blätter und zieht ausgewählte Aromastoffe heraus. Nach circa dreißig Minuten zeigt sich bereits ein zarter Smaragdton. Die ideale Verweildauer endet, sobald das Eis fast verschwunden ist und sich ein klarer, duftender Aufguss gebildet hat. Gyokuro erreicht sein aromatisches Optimum häufig nach sechzig bis neunzig Minuten, Sencha etwas früher. Je nach Eismenge kann es aber auch mehrere Stunden dauern, ehe man den Koridashi genießen kann.
- Abseihen und servieren: Der Tee gelangt tropfenfrei in vorgekühlte Gläser oder kleine Kostbecher. Ein feines Sieb fängt möglicherweise austretende Blattpartikel ab - wer möchte kann den Kōridashi aber natürlich auch im Grandpa Style trinken. Die Serviertemperatur liegt zwischen 8 °C und 12 °C, wodurch die Süße erhalten bleibt, während adstringierende Elemente gezügelt werden. Traditionell entsteht nur ein einziger, konzentrierter Aufguss; nach japanischer Auffassung lässt sich jedoch ein zweiter Durchgang mit kaltem Wasser anschließen, der deutlich sanfter gerät.
- Verwertung der Blätter: Die aufgequollenen Teeblätter schmecken zart und aromatisch. In Japan wandern sie gern in Salate, mit Sojasauce, Sesamöl und Yuzu-Saft angemacht oder direkt als Snack genossen. Dieses Zero-Waste-Element rundet das Kōridashi-Erlebnis ab und unterstreicht die Wertschätzung hochwertiger Rohwaren.

Zusammengefasst: Ein Hauch von Ewigkeit
Kōridashi hebt Teezeremonie und sommerliche Erfrischung auf ein Level, das subtile Nuancen in eine sinnliche Klarheit überführt. Der langsame Schmelzvorgang entlockt vornehmlich umami-reiche Aminosäuren, Zucker und Aromastoffe, während Gerbstoffe in den Blättern verbleiben. So entsteht ein Trunk von tiefer Milde, der selbst filigrane Geschmacksfacetten sichtbar macht. Zugleich repräsentiert die Methode eine kontemplative Praxis, die Wertschätzung, Geduld und Präzision zusammenführt. Wer den Unterschied zwischen raschem heißen Aufguss und eiskalter Extraktion einmal verkostet hat, erkennt im Ice Brew Tee nicht bloß ein sommerliches Trendgetränk, sondern eine zeitlose Ode an die Feinheit des Teeblatts.